26. Mai 2006

Staat und IT

Vor zwei Wochen habe ich mit mit einer Delegation europäischer Medienvertreter einen der vier größten IT-Dienstleister Indiens in Hyderabad besucht. Am Rande der Gespräche hatten wir Gelegenheit mit der Leiterin des Information Technology and Communications Department der Regierung des Bundesstaates Andhra Pradesh zu sprechen. Ich war beeindruckt, sehr beeindruckt sogar. Was kann einen Deutschen in Sachen Staat und IT beeindrucken und dann noch in Indien, werden Sie fragen? Ich werde es Ihnen gleich erläutern, aber lassen Sie mich kurz abschweifen.

In Bezug auf die heutigen technologischen Möglichkeiten und den tatsächlichen Nutzungsgrad in unserer staatlichen Verwaltung, insbesondere in der Interaktion mit seinen Bürgern, stehen wir im Vergleich (nicht nur) mit einem Land wie Indien meiner Meinung nach manchmal sehr schlecht dar. Gemessen an den teilweise gigantischen Summen die in unserer öffentlichen Verwaltung in IT-gestützte (Verwaltungs-)Prozesse investiert werden und dem unverhältmässig geringem Nutzen für den Bürger können einem manchmal Tränen in die Augen kommen. Nach einer Bestandsaufnahme hatte die Bundesregierung im Jahre 2001 einen Umsetzungsplan für das gesamte Dienstleistungsspektrum der Bundesverwaltung beschlossen, das Projekt BundOnline 2005. Die Bundesregierung beabsichtigte alle internetfähigen Leistungen der Bundesverwaltung online bereitzustellen. Mit BundOnline 2005 sollten Bürger und Wirtschaft die (Dienst-)leistungen des Staates „einfacher, schneller und kostengünstiger“ in Anspruch nehmen können. Jetzt sind wir im Jahre 2006. Vieles ist realisiert worden, das will ich in keiner Weise schmälern. Was im Einzelnen aber erfolgreich umgesetzt wurde, in welchem Umfange und was noch zu tun ist, darüber höre ich nichts mehr? Diese Fragen kann ich mir selbst beantworten wenn ich im Internet suche oder mir aufwendig gestaltete Broschüren der jeweiligen Behörden schicken lasse. Mich stört in unserer staatlichen Verwaltung der nicht vorhandene oder nur im Ansatz vorhandene „Kundenfokus”. „Das Einzige was stört ist der Kunde!“ hat Edgar Geffroy vor einigen Jahren geschrieben. Viele Staatsdiener scheinen sich diesen Buchtitel verinnerlicht zu haben.

Die Bedeutung von Kundenfokus scheint man in Indien offensichtlich erheblich besser zu verstehen als bei uns. „The Government of Andhra Pradesh is determined to leverage its strength in IT to provide convenient anytime anywhere citizen services.“ wurde uns erklärt. Gemessen an dem extrem engen finanziellen Spielraum die Länder wie Indien in dieser Hinsicht haben, sind die aufgezeigten Ergebnisse formidabel. Und täglich liest man in der indischen Presse was erfolgreich umgesetzt wurde, in welchem Umfange und was noch zu tun ist. Und das wars was mich beeindruckt hat. Ein indischer Bundesstaat in der Grösse Deutschlands hat es darüber hinaus mit tatkräftiger Unterstützung seiner Regierung geschafft, so etwas wie das Back Office der Welt zu werden. „Früher wurden Städte und Zivilisationen an den Ufern von Flüssen errichtet, heute dort wo die Bandbreite ist.“ hat man in Indien erkannt.
Vielleicht bräuchten wir auch ein “IT- und Kommunikationsministerium”.

Wolfgang Franklin
Vorsitzender des Vorstandes
cioforum e.V.

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